
kürzlich schrieb ich anderenorts bissel etwas über Chiron und vielleicht hat ja jemand Lust, Muße, Laune und/oder Zeit, seine Meinung zum Thema darzulegen.
Meine Einschätzung:
Für mich ist er (Chiron) der Schmerz, überhaupt am Leben zu sein, sich der Brüchigkeit alles Lebendigen bewusst zu sein/werden (er zieht seine Bahn zwischen Saturn und Uranus). Mir widerstrebt es zutiefst, diesem Asteroiden eine Bedeutung zu geben, die denen der Planeten nahe kommt. Ich halte es nach vielen Versuchen, diesen Kentauren sinnvoll in eine Deutung einzubeziehen, mit Roscher, der - etwas gekürzt - sagte: "Grundsätzlich: Chiron ist kein Planet. Ich arbeite damit nicht. Chiron ist so eine Modeerscheinung. Eine Zeitlang war Saturn völlig in, dann Pluto und jetzt eben Chiron. Mondknoten waren ja auch einmal in Mode."
Etwas ausführlicher, auch bezüglich der "Modeerscheinung":
Was ich wiederum höchst interessant finde und sich für mich als Frage auftut: Weshalb Chiron so viel - ich nenne es mal Anklang oder Resonanz - findet? Weshalb es so "in" ist (überhaupt nicht wertend gemeint), in der eigenen Verwundbarkeit und den eigenen Wunden und Schmerzen ausdauernd herumzugraben? Brauchen wir diese "Schmerzerhaltung" in einer Welt, die das Indivuduum (Uranus) einerseits hoch preist, einen Menschen aber nur hinsichtlich seiner Verwertbarkeit einordnet (Saturn)? Die Menschen Gesetzen (Saturn) unterwirft, die schlicht lebens- und existenzverneinend sind? Man denke nur an Hartz IV, welches die Grundbedürfnisse sichern soll, die laut Verfassung Menschenrecht sind. Laut dieser Gesetze ist es via Sanktionen möglich, dieses Existenzminimum teilweise oder ganz zu entziehen, wenn jemand sich nicht gesetzeskonform unterwirft. Beim Individuum, dem Menschen, dem dieses widerfährt, kommt die Botschaft an: Du bist es nicht wert, zu leben, zu sein, zu existieren. Und gleichzeitig wird von diesem Menschen verlangt, sich in Bewerbungen als einmalig zu präsentieren. An dieser Ambivalenz kann man eigentlich nur verzweifeln und sich betäuben, sich unempfindlich machen. Ganz und gar. Und um sich überhaupt noch irgendwie zu spüren, hält man die eigenen Wunden offen.
Aus astrologischer Sicht bietet sich Chiron als eine Art "Brennpunkt" an, der diese Problematik sichtbar machen kann. Es handelt sich dabei aber eben nicht um etwas zutiefst Individuelles oder etwas, was sich aus dem einzelnen Menschen heraus ergibt, ihm "anzulasten" wäre. Er persönlich hat diese Bedingungen nicht erschaffen, er ist in sie eingebettet und ihnen auch ausgeliefert. Die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt, ist sich davon zu "befreien", in welcher Weise auch immer (Uranus). Ein erster Schritt auf dieser persönlichen Ebene könnte sein, zu erkennen (intuitives Erkennen: Uranus), dass es auf dieser Welt zwar Recht gibt (Saturn), aber keine Gerechtigkeit. Dass es andere Möglichkeiten gibt, sich zu spüren, als in Wunden und Verletzungen herumzugraben. Auf der individuellen und persönlichen Ebene kann man bestenfalls so etwas wie Akzeptanz erreichen, dass mit der menschlichen Existenz untrennbar Leid und Schmerz verbunden ist. Aus dieser Erkenntnis wiederum kann so etwas wie Mitgefühl erwachsen, ein Mitempfinden, das weniger ein persönliches Mitleiden ist als vielmehr ein unpersönliches, allgemeines Mitfühlen und was man vielleicht eine "mitfühlende Haltung" (Chiron als "Resultat" der Unvereinbarkeit von Saturn und Uranus) nennen kann. Diese gilt bestenfalls auch der eigenen Person, dem eigenen Menschsein.
Der Schmerz, am Leben zu sein, mit all den Widersprüchlichkeiten und Gegebenheiten der menschlichen Existenz, betrifft jeden Menschen und subtil jeden Bereich eines Lebens. Das ist der Grund, weshalb ich es für wenig sinnvoll erachte, Chiron wie andere Faktoren zu deuten (Zeichen, Haus, Aspekte etc.). Ein unpersönliches, allgemeines Mitgefühl bezieht sich nicht auf einen Bereich eines Horoskops, ebenso wenig wie das diesem Mitempfinden zugrunde liegende schmerzende, offene, menschliche Herz.
Quelle: http://www.astrologie.de/forum/astrolog ... t7507.html
Schöne Grüße
Rita