Schockwellenreiter
In der “dritten Welle” werden “Ordnung und Daseinsvorsorge besser durch die Entscheidung von Leuten gewährleistet, die außerhalb des Staates, ja selbst außerhalb der etablierten Einrichtungen des Expertenwissen … zu finden sind.”
Ein Schelm, der jetzt denkt, ich würde mit diesem Zitat auf den Informationsrevolutionär und Nichtmediziner Gates anspielen! Es geht hier um eine Struktur, nicht um Einzelpersonen.
Jonathan Simon wird gleich im folgenden Satz noch deutlicher:
In einer gänzlich umgewandelten postindustriellen Gesellschaft werden Entscheidungen in der Gesundheitsvorsorge … so weit wie möglich durch Verträge und persönliche Entscheidungen zwischen Konsumenten und Anbietern geregelt.
Jonathan Simon
Kaum eine Seite weiter kommt er zu dem entscheidenden Punkt, dass sich die wirklichen Veränderungen in dieser Gesellschaft “zwischen den Staatsfunktionen” abspielen. Die Tendenz geht weg von zur Förderung von Einkommen und Lebensstandard. Das Resultat jener Wandlung sind “Regierungsbemühungen”, die sich vollkommen auf “Kriminalitätsfurcht und Parteinahme für Opfer”, letztlich auf Überwachen und Strafen richten. Simon nennt diese politische Kultur “Regieren mittels Verbrechen”.
Mit “Kriminalitätsfurcht” ist die (methodisch erzeugte) Angst vor einer Zunahme von Verbrechen gemeint. Nun ist eine pandemisch wirkende Virus-Erkrankung noch kein Verbrechen – jedenfalls nicht, solange man die Ursachen erfolgreich ausblendet. Doch das Sich-Einfühlen in die Opfer geschieht immer dann, wenn die Bürger glauben, jedermann könne jederzeit von einer Gefahr betroffen sein.
Simons heutzutage gut nachvollziehbare These ist deswegen, dass ein Herrschen durch Hervorhebung der Bedrohung jene Form von Staatlichkeit sei, die konsequent aus der “Dritten Welle” erwächst. Die Verschiebung wesentlicher Aufgaben des Staates in Richtung auf Plattform-Unternehmen und global operierende Konzerne geht schlussrichtig mit der laufenden “Digitalisierung” einher. (…)
Was wird heute getan angesichts der aktuellen Bewegungseinschränkungen, gegen die massive Belastung der Bevölkerung mit Risiken wie Junkfood, Stress, ganztägigem Vor-dem-Bildschirm-hocken? Vor fast 30 Jahren, 1992-1994, habe ich gemeinsam mit Rob Moonen eine Recherche zu den Folgen “sozialer Isolation und sensorischer Deprivation” durchgeführt und als Buch veröffentlicht.
Die Ergebnisse waren erschreckend. Schon nach kurzer Zeit der Einsperrung unter Sinnesentzug und ohne Kontakt zu anderen Menschen bricht unsere sog. “Identität” zusammen. Denn das, was man meint “zu sein”, ergibt sich durch ein komplexes Gefüge von Handlungen und Reaktionen. Fallen diese Impulse weg, wird man zum “weißen Blatt”, das leicht neu “beschreibbar” ist. Insofern gesellt sich zu den oben beschriebenen körperlichen Auswirkungen des “lockdown” ein viel schlimmeres Risiko: der psychische Kollaps. (…)
Zur stigmatisierenden Wortwahl gehören dabei nicht nur die Begriffe “Verschwörungstheoretiker” und alle möglichen Termini aus dem semantischen Feld von “Faschismus” (anti-semitisch, Neo-Nazi, rechts etc.). Zentral in diesem Feld: der Begriff “Leugner” (Fakten- oder Corona-Leugner, analog zu “Holocaust-Leugner”). Dem gegenüber steht als Kampfbegriff an der “framing”-Front der “ausgewiesene Fakten-Checker”, der “inglourious basterd” in seiner Schlacht gegen die “fake news”.
Was ist das Geheimnis dieser neuen Berufsgruppe? Sie erspart uns das eigene Nachdenken. Sie macht aus einem “strittigen Anliegen” (Elisabeth Wehling, S.8) durch moralisches Framing eine unabdingbare Notwendigkeit. Vor ein paar Jahren hießen solche Kampagnen noch “spin doctoring”. Der Spindoctor gibt der Angelegenheit einen “besonderen Dreh”. Das beschreibt den Aspekt der Inszenierung treffender als “framing”, das eher an politische Notwehr erinnert. (…)