Seien Sie doch bitte vernünftig...
Nur: Die Unvernunft herrscht nicht erst in der Corona-Pandemie
An Publikumsschelte und Ermahnungen in Sachen Vernunft mangelt es nicht in Zeiten der Pandemie-Bekämpfung. So mahnt der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier: "Deshalb meine Bitte: Halten wir in den kommenden Monaten mit Abstand und Haltung zusammen. Bleiben wir vernünftig und solidarisch." (11.12.2020)
Während die einen an die Vernunft appellieren, vermissen andere dieselbe nicht nur bei den Bürgern, sondern auch bei den Maßnahmen der Politik. Die Unvernunft versetzt manchem das Blut in Wallung (Alexander Unzicker: Corona: eine Zornesrede). Deshalb ist es vielleicht einmal angebracht zu prüfen, was es mit der Vernunft im Alltag der Pandemiebekämpfung auf sich hat.
Die ganz normalen Toten des vernünftigen Alltags: gebongt!
Dass das Virus eine Gefahr für Leib und Leben der Menschen im Lande darstellt, wird auch von den meisten Querdenkern nicht bestritten. Die Gefahr wird jedoch relativiert und zwar an den Schäden des normalen Alltags, der auch mit einer Vielzahl von Toten einhergeht. Vor einigen Tagen wurde vermeldet, dass es an einem Tag durch Corona so viele Tote gegeben habe wie im ganzen Jahr 2019 durch den Straßenverkehr. Dass im Verkehr ständig Tote anfallen, ist kein Gegenstand einer besonderen Aufregung.
Ganz im Gegenteil: In den Medien werden Luxuskarossen mit Hunderten von Pferdestärken vorgeführt und als Errungenschaft der deutschen Automobilindustrie gefeiert. Um von A nach B zu kommen, bedarf es einer solchen Motorleistung nicht - zum Protzen mit dem eigenen Reichtum schon. Und wenn die schwerkalibrigen Geräte dann auf die Straße gebracht werden, sind sie Geschosse mit einer Gefahr für Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmer. Die Produktion und Zulassung solcher Autos zeugen nicht gerade von Vernunft bezüglich der Gesundheit der Verkehrsteilnehmer!
[...]Wenn es aber stimmt, dass das Virus am besten durch Kontaktreduktion zu bekämpfen ist, dann wäre es doch sehr vernünftig, alles stillzulegen, was nicht zur unmittelbaren Versorgung der Bevölkerung beiträgt; also nur die Versorgung mit Lebensmitteln, Energie und Medizin aufrecht zu erhalten, dazu dann noch die Müllabfuhr und einige Dienstleistungen des Handwerks.
Jenseits jeder landläufigen Vernunft: Wirtschaft ohne Profit!
Davon abgesehen gäbe es vieles, was stillgelegt werden könnte. Aber nicht stillgelegt wird. Warum zum Beispiel bleibt die Börse offen? Sie trägt nichts zur Versorgung der Bevölkerung bei. Dort werden Milliarden von Euros und Dollars spekulativ hin und hergeschoben. Aber es bleibt ja nicht beim Spiel im Casino, durch die Spekulation entscheidet sich vielmehr das Schicksal ganzer Länder, Branchen, Firmen und Existenzen. Vernünftig ist eine solche Form des Wirtschaftens wirklich nicht und das nicht erst zu Zeiten von Corona.
Warum müssen Banken offen bleiben? Geld kann man nicht essen. Doch Banken zu schließen würde bedeuten, die Versorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung mit Geld, damit den Zahlungsverkehr einzustellen. Wenn es aber nur um die Versorgung der Menschen ginge, wäre dies kein Problem: "Selbstbedienung" steht doch oft genug auf den Schildern in vielen Supermärkten! Wenn dies nun ohne Bezahlung abgewickelt würde, wäre dies ein hochwertiger Schutz für viele Menschen, die sich jetzt an den Kassen großen Infektionsgefahren aussetzen.
Aber das ist natürlich ganz undenkbar unter vernünftigen Menschen! Dass ein Verzicht auf Bezahlung im Chaos enden würde, ist nämlich eine ausgemachte Sache. Was ja nicht von der Hand zu weisen ist, denn in einem solchen Fall würde sich ganz praktisch zeigen, was es mit der Ideologie auf sich hat, laut der die Marktwirtschaft für die beste Versorgung der Menschen mit den benötigten Gütern sorgt.
Beim Verzicht auf Bezahlung würde sofort schlagend klar, dass durch Werbung zwar viele Bedürfnisse bei den Menschen geweckt werden, dass aber - weil zu deren Befriedigung nun einmal Geldbesitz zwingend dazu gehört - die meisten von dem großen Reichtum ausgeschlossen sind. Folge wäre also eine unkontrollierbare Situation. Das wissen die Politiker und Wirtschaftslenker. Deshalb ist klar: Bei einer wirklichen Selbstbedienung wären die Regale schnell leer. Noch viel schlimmer: Jede Menge Profit wäre dahin! Und das ist doch der Gipfel der Unvernunft oder?
Quelle und weiter:
https://www.heise.de/tp/features/Seien- ... 00505.html