Coronismus: Die Angst vor der Freiheit
Wer sich an Corona-Politik und Panik-Medien abarbeitet, übersieht ein schmerzliches Grundproblem des Coronismus: Die Menschen wollten es so. Etwas in den Menschen wollte es so.
Von Marcus J. Ludwig.
Ende 2019, Anfang 2020 war ein neuartiges Corona-Virus in der Welt. Wie es in die Welt kam, ist ungeklärt. Laborunfall oder Wildtiermarkt, eine interessante Frage, aber als Faktum zweitrangig. Als Ausgangspunkt der Fantasie war beides erstrangig: „Fledermaus“ und „Biowaffe“ aktivierten Imaginationspotenziale, mit denen keine saisontypische Atemwegserkrankung mithalten konnte. Es war da plötzlich dieser spektakuläre Erreger, im chinesischen Wuhan, und die Tatsache, dass die dortigen Behörden extreme Maßnahmen trafen, verbreitete sich als Bild, als Video, als Gerücht und Erzählung rasend schnell rund um den Globus. Man harrte in angstvoller Erwartung der Ankunft des Unheils in Europa, in Deutschland, in der eigenen Stadt. Man fragte sich, ob auch hier Passanten auf offener Straße zusammenbrechen würden, als hätte man ihnen den Stecker gezogen, ob auch die Einkaufszentren in Augsburg und Aurich, in Stralsund und Soest von Seuchenschutzspezialisten in Hochsicherheitsanzügen würden desinfiziert werden müssen.
Die Menschen erwarteten die Pandemie, innerlich bereits mit all den ikonischen Bildern versehen, die sich durch den Konsum tausender Katastrophenfilme in ihnen angereichert hatten. Die unbewusste Matrix möglicher Szenarien war bereitet, die Seelen waren offen für die Dystopie, sie antizipierten den World War C, der sich durch Netflix und Co. lange schon tief in ihre Traumschichten gebrannt hatte. Die Leute wurden zu Preppern, kauften die Supermärkte leer, verschanzten sich in den eigenen vier Wänden und machten sich gefasst auf den Ausnahmezustand. Zunächst ohne Anweisung von oben, noch ganz ohne den seinerseits völlig verunsicherten Staat. Sie blieben zu Hause, sie zogen sich zurück, sie blieben auf Abstand. Und begannen, neben dem Grusel allmählich den Mehrwert, das feierlich Sinnstiftende an der sonderbaren Situation, zu spüren. Sie fanden Gefallen an den filmreifen Formeln und Motivationssprüchen der Solidargemeinschaft: „Flatten the curve. Stay at home. Follow the Science.“
Psychopolitisches Win-Win-Rezept
Und der Staat folgte dem Willen seiner Bürger, dem Willen zur totalen Sicherheit, dem Willen zu sommermärchenhafter Solidarität und sentimentaler Überhöhung des Banalen und verstand es, ihnen zu geben, was sie wollten: Sie durften zu Hause bleiben, sie mussten zu Hause bleiben, Vater Staat versprach, sie zu versorgen, auf unbestimmte Zeit die Vormundschaft zu übernehmen, am Geld sollte es gewiss nicht scheitern, und das Projekt „Zusammenhalt in der Krise“, das Projekt „Endlich mal Ernstfall“, erwies sich als psychopolitisches Win-Win-Rezept: Infantilismus fürs Volk, verordnete Regression, endlich wieder Kind sein, ganz ohne schlechtes Gewissen. Und Narzissmus ohne Reue für die Politik, Ausagieren der selbstherrlichsten Größenfantasien, Anerkennung fürs Machen, fürs Führen, fürs Diktieren und Durchregieren.
Und die Medien? Die kühl-distanzierten Beobachter und rationalen Analytiker des Zeitgeschehens? Sie wollten keine Spielverderber sein, sondern steuerten nach Kräften ihre Narrative bei zur Stabilisierung des bizarren Idylls. Eine Journalistin sagte in einer Journalisten-Talkrunde: Wir werden einmal ungläubig auf diese Zeit zurückblicken und uns wundern, welche übermenschlichen Leistungen wir da vollbracht haben. – Sie meinte die Leistungen von heldenhaften Homeoffice-Eltern, die an Videokonferenzen teilnehmen mussten, während die Homeschooling-Kinder um sie herumwuselten und nach Buntstiften verlangten.
Das sind Szenen aus der Frühphase der „neuen Normalität“, seit der Etablierung dieser Pseudorealität sind anderthalb Jahre vergangen, und die meisten Menschen haben aus der körperlichen, sozialen Abkapselung, der physischen Weltentfremdung inzwischen wieder halbwegs herausgefunden – das Corona-Biedermeier wurde trotz aller heroistischen Verbrämung doch einfach irgendwann zu stupide und langweilig.
Nicht herausgefunden haben viele hingegen aus dem metaphorischen „Zuhausebleiben“. Aus der Entwirklichung, der Auslagerung des Verstandes in mentale Schutzzonen, in die infantile Unerreichbarkeit. Und es ist fraglich, ob die neunormalen Massen je wieder in die Realität zurückfinden.
Opfer des Bestätigungsfehlers
Ein zugrundeliegendes, höchst fatales Mentalitätsproblem besteht – aller vermeintlichen modernen Rationalität und Aufgeklärtheit zum Trotz – wohl darin, dass die Menschen in ihrer Mehrheit keine Schwebezustände aushalten. Die kognitive Unruhe, die sich in langanhaltenden Situationen der Unklarheit einstellt, drängt sie zu vorschnellen Entscheidungen, sie optieren ohne verlässliche Grundlage für eine irgendwie annehmbare, plausible, handhabbare „Erkenntnis“, und werden in der Folge dann fast notwendig Opfer des confirmation bias, des Bestätigungsfehlers. Sie ertragen kein Dasein in dauernder Hypothese.
Und statt nach Falsifikationsmöglichkeiten zu suchen, wie wir es seit Karl Popper gewohnt sein sollten, sammeln sie Verifikationen: gute, überzeugende Gründe für den einmal eingeschlagenen Weg, den sie dann – je länger er schon beschritten worden ist – nicht mehr ohne Beschädigung des Selbstbildes verlassen können. Sie müssten sich ja eingestehen, dass sie unklug, voreilig, irrational gehandelt haben, dass sie verwirrt und intellektuell daneben waren. Nach einer Woche vergibt man sich so etwas noch, nach anderthalb Jahren aber wird es schwierig, für die Allermeisten unmöglich. Kritische Reflexivität als Antidot gegen die Automatismen des Unbewussten ist eine ziemlich unterentwickelte kognitive Kompetenz heutzutage.
Der Wille zur Anomalie
Die Menschen entschieden sich mehrheitlich für die Hypothese, dass Corona ein Killervirus sei. Sie machten aus der Entscheidung eine Glaubensfrage und aus der Hypothese ein Dogma. Sie richteten sich eine Realität ein, mit der sie umgehen konnten, einen Raum halbwegs sicheren Behagens, dekoriert mit Moralismus, Applaus vom Balkon, Triage-Horror, Gedenkstunden-Sentiment und statistischen Rekordwerten. Und es war nicht nur die Angst, die sie dort hielt, es war nicht nur medial induzierte Überbesorgtheit. Es war auch die Lust. Die Medien bedienten, aktivierten, verstärkten eine mentale Disposition, die schon lange da war.
Wer sich an Paranoiapolitikern und Panikmedien abarbeitet, übersieht ein großes, schmerzliches Grundproblem des Coronismus: Die Menschen wollten es so. Genauer gesagt: Etwas in den Menschen wollte es so. Etwas in den Massen wollte den Ausnahmezustand.
Quelle und weiter:
https://www.achgut.com/artikel/coronism ... r_Freiheit