Die entstehende totalitäre Dystopie: Interview mit Professor Mattias Desmet
Der Interviewer und Blogger, Patrick Dewals, ist ein politischer Philosoph und Autor.
Prof. Mattias Desmet ist klinischer Psychologe an der Universität Gent und Psychotherapeut.
Nur wenige Phänomene haben sich weltweit so schnell ausgewirkt wie der derzeitige Ausbruch des Coronavirus. In kürzester Zeit hat sich das menschliche Leben völlig neu organisiert. Ich habe Mattias Desmet, Psychotherapeut und Professor für klinische Psychologie an der Universität Gent, gefragt, wie dies möglich ist, welche Folgen es hat und was wir in Zukunft erwarten können.
Wie steht es fast ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Krise um die psychische Gesundheit der Bevölkerung?
Bislang gibt es nur wenige Zahlen, die die Entwicklung möglicher Indikatoren wie die Einnahme von Antidepressiva und Anxiolytika oder die Zahl der Selbstmorde zeigen. Es ist jedoch besonders wichtig, das psychische Wohlbefinden in der Corona-Krise in seine historische Kontinuität einzuordnen. Die psychische Gesundheit war seit Jahrzehnten rückläufig. Die Zahl der Depressionen und Angstzustände sowie die Zahl der Selbstmorde haben seit langem stetig zugenommen. Und in den letzten Jahren gab es einen enormen Anstieg der Fehlzeiten aufgrund von psychischen Leiden und Burnouts. Im Jahr vor dem Corona-Ausbruch konnte man spüren, wie dieses Unbehagen exponentiell zunahm. Dies vermittelte den Eindruck, dass die Gesellschaft auf einen Kipppunkt zusteuert, an dem eine psychologische “Reorganisation” des sozialen Systems unumgänglich ist. Dies geschieht jetzt mit Corona. Anfangs konnten wir beobachten, dass Menschen, die nur wenig über das Virus wussten, schreckliche Ängste heraufbeschworen, und es kam zu einer regelrechten sozialen Panikreaktion. Dies geschieht vor allem dann, wenn bereits eine starke latente Angst in einer Person oder Bevölkerung vorhanden ist.
Die psychologischen Dimensionen der aktuellen Corona-Krise werden stark unterschätzt. Eine Krise wirkt wie ein Trauma, das dem Einzelnen seinen historischen Sinn nimmt. Das Trauma wird als ein isoliertes Ereignis betrachtet, obwohl es in Wirklichkeit Teil eines kontinuierlichen Prozesses ist. So wird beispielsweise leicht übersehen, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung während der ersten Abriegelung seltsam erleichtert war und sich von Stress und Angst befreit fühlte. Ich hörte regelmäßig Leute sagen: “Ja, diese Maßnahmen sind hart, aber wenigstens kann ich mich ein bisschen entspannen.” Weil die Hektik des Alltags aufhörte, kehrte Ruhe in die Gesellschaft ein. Die Lockdown-Maßmahmen befreite die Menschen oft aus einem psychologischen Trott. Dies führte zu einer unbewussten Unterstützung der Maßnahmen. Wäre die Bevölkerung nicht bereits durch ihr Leben und insbesondere durch ihre Arbeit erschöpft, hätte es nie eine Unterstützung für die Maßnahmen gegeben. Zumindest nicht als Reaktion auf eine Pandemie, die im Vergleich zu den großen Pandemien der Vergangenheit nicht allzu schlimm ist. Sie haben etwas Ähnliches bemerkt, als der erste Lockdwon zu Ende ging. Damals hörte man regelmäßig Aussagen wie: “Wir werden nicht wieder anfangen zu leben wie früher, wieder im Stau stehen” und so weiter. Die Menschen wollten nicht zur Normalität vor Corona zurückkehren. Wenn wir die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer Existenz nicht berücksichtigen, werden wir diese Krise nicht verstehen und sie nicht lösen können. Übrigens habe ich inzwischen den Eindruck, dass die neue Normalität wieder zu einem Trott geworden ist, und es würde mich nicht wundern, wenn sich die psychische Gesundheit in naher Zukunft wirklich verschlechtert. Vielleicht vor allem, wenn sich herausstellt, dass der Impfstoff nicht die magische Lösung bietet, die man sich von ihm verspricht.
In den Medien erscheinen regelmäßig verzweifelte Schreie junger Menschen. Wie ernst nehmen Sie sie?
Nun, Sie sollten wissen, dass die Lockdowns und die damit verbundenen Maßnahmen für Jugendliche völlig anders sind als für Erwachsene. Im Gegensatz zu einem Erwachsenen mittleren Alters bedeutet die Zeitspanne von einem Jahr für einen jungen Menschen einen Zeitraum, in dem er eine enorme psychologische Entwicklung durchläuft, die zu einem großen Teil im Dialog mit Gleichaltrigen stattfindet. Die Jugendlichen von heute durchleben diese Zeit in der Isolation, und es kann gut sein, dass dies für die meisten von ihnen negative Folgen haben wird. Aber bei jungen Menschen ist alles komplexer. So fühlen sich diejenigen, die früher unter akuter sozialer Angst oder sozialer Isolation litten, heute vielleicht besser, weil sie nicht mehr die Außenseiter sind. Aber im Allgemeinen ist die Jugend zweifellos am stärksten von dieser Corona-Krise betroffen.
Wie steht es mit der Angst bei den Erwachsenen?
Auch bei Erwachsenen gibt es Angst, aber das Objekt der Angst ist unterschiedlich. Manche haben vor allem Angst vor dem Virus selbst. Es gibt Menschen in meiner Straße, die sich kaum noch aus dem Haus trauen. Andere fürchten die wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen. Und wieder andere fürchten die sozialen Veränderungen, die die Corona-Maßnahmen mit sich bringen. Sie fürchten das Entstehen einer totalitären Gesellschaft. So wie ich (lacht).
Sind die mit dem Coronavirus verbundenen Mortalitäts- und Morbiditätsraten angemessen für die ängstlichen Reaktionen?
Nun, Krankheit und Leid sind immer schlecht, aber die schädlichen Auswirkungen der staatlichen Maßnahmen stehen in keinem Verhältnis zum Gesundheitsrisiko des Virus. Beruflich bin ich an zwei Forschungsprojekten über Corona beteiligt. Daher habe ich mich recht intensiv mit den Daten befasst. Es ist klar, dass die Sterblichkeitsrate des Virus recht niedrig ist. Die Zahlen, die in den Medien verkündet werden, beruhen auf einer, sagen wir mal, überschwänglichen Zählung. Unabhängig von vorbestehenden medizinischen Problemen wurde so gut wie jeder ältere Mensch, der starb, in die Liste der Corona-Toten aufgenommen. Ich persönlich kenne nur eine Person, die als Coronatote registriert wurde. Es handelte sich um einen Krebspatienten im Endstadium, der nicht an Corona, sondern mit Corona starb. Wenn man diese Art von Todesfällen zu den Corona-Todesfällen hinzufügt, steigen die Zahlen und die Angst in der Bevölkerung.
Quelle und weiter:
https://blog.bastian-barucker.de/die-en ... as-desmet/
Ein weiteres Interview mit deutscher Übersetzung:
https://odysee.com/@Jadu200:7/Prof-Matt ... ZUNG-63-:8?